DAS HOSPITALSTRAßE 46 ALPHABET


W wie Windmüller

Unternehmensentwicklungen hängen naturgemäß oft mit Unternehmerfamilien zusammen. Die Windmüllersche Lampenfabrik und spätere WMI in der Hospitalstraße 46 bilden hier keine Ausnahme. Sally Windmüller stammte aus einer jüdischen Kleinhändlerfamilie. Handelstätigkeit im weitesten Sinne bildete damals die einzige Möglichkeit jüdischer Menschen zur Existenzsicherung. Sein Vater Heimann wird in den städtischen Akten 1854 als „selbständiger Handelsmann“ erwähnt. Sally, zweites von acht Kindern 1858 geboren, übernahm die Geschäftstätigkeit in der Familie nach dem Tod des Vaters 1877. Familiäre Unterstützung und wahrscheinlich verwandtschaftliche Verbindungen ermöglichten es dann, den kleinen Futterhandel seiner Eltern in eine Blechwarenmanufaktur umzuwandeln. Es gehörte sicher Mut und Geschäftssinn dazu, mit dem sehr geringen Ausgangskapital eine völlig neue Gewerbeausrichtung 1895 zu wagen. Heute würde man im Rückblick von einer extrem erfolgreichen „Startup“-Unternehmung reden und im Gründungsverfahren ein Beispiel der heute im Silicon Valley propagierten modernen betriebswirtschaftlichen Form von „radikaler Geschäftsfeldänderung (Disruptive Economy)“! 

Grundstück und Gewerbeanmeldung in der Hospitalstraße erfolgten noch unter dem Namen seiner verwitweten Mutter „H. Windmüller Ww.“, gingen dann aber in die Hände von S. Windmüller über. Die Unternehmensentwicklung ab 1895 verlief rasant und auch hier kann wirtschaftshistorisch Interessantes beobachtet werden: Windmüller nutzte eine relativ neue Gesellschaftsform, die Aktiengesellschaft (erst 1884 im allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch geregelt) für eine schnelle Kapitalaufstockung und Gründung der WMI 1899. Hieraus ergaben sich extrem positive Auswirkungen auf das operative und allgemeine Geschäft: 1895 Start mit 25 Mitarbeitern und schon um 1900 Niederlassungen in Paris und London!

Helene Windmüller um 1900Inwieweit die Familie, insbesondere seine Frau Helene und die Schwiegerfamilie Sternberg, eine Rolle im Aufbau des Unternehmens spielten bleibt noch zu untersuchen. Ebenso wären die Details zur damaligen Shareholdersituation und Aufsichtsratsaktivitäten noch zur Beurteilung des betriebswirtschaftlichen Unternehmensverlauf von Interesse. Hier bleibt in Zukunft Recherchenotwendigkeit!

Die persönliche und familiäre Katastrophe der Familie nach dem Ausscheiden von Windmüller aus der Führung der WMI 1921, die Beurteilung der gerichtlichen Auseinandersetzungen und die damit zusammenhängenden Demütigungen, sowie die Zeit bis zum Tod von Sally Windmüller sind geschichtswissenschaftlich noch nicht erarbeitet. Sally Windmüller starb 1930 in Berlin.

Hier sei auch das ungeheure Leid erwähnt, das die jüdische Familie Windmüller und ihre nahe Verwandtschaft durch den Nationalsozialismus erfahren hat:

Ehefrau Helene Windmüller (geb. Sternberg): Flucht 1938 nach Portugal zur Tochter
Schwägerin Paula Sternberg und ihre zwei Kinder: Ermordet in Auschwitz
Schwager Oskar Sternberg (Prokurist bei der WMI, 1933 entlassen): Ermordet in Auschwitz
Schwiegersohn Gottfried Kapp: 1938 gestorben bei einem Gestapo-Verhör (ermordet?)

Lippstadt könnte das Andenken an die Unternehmerfamilie Windmüller im Zusammenhang mit der Hospitalstraße 46 stärker würdigen. Der Heimatbund schlägt vor, den zukünftigen Vorplatz des neuen Stadthauses „Helene-Windmüller-Platz“ zu nennen.