Am 17.09.2025 wurden am Südertor 2, (Cineplex-Areal) der ehemaligen Adresse der Familie Mosbach Stolpersteine verlegt für diese jüdische Familie. Eine Schülergruppe der Marienschule hatte sich inhaltlich mit dem Schicksal der Mosbachs beschäftigt. Die fünf Stolpersteine sind Teil einer Spur von nun 20 Steinen, die sich durch die Stadt verfolgen lässt und die gegen das Vergessen und Verdrängen dieser Geschehnisse und des Holocaust insgesamt aufrufen.
Grußwort unserer Vorsitzenden Dr. Marlies Wigge am 17.09.2025Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Anwesende,
gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, anlässlich der Verlegung von Stolpersteinen für die Familie Mosbach zu sprechen und auch einen Blick zurück zu werfen, wie Gedenken bisher aussah.
Mit der Erarbeitung des Jubiläumsbandes zur Stadtgeschichte von 1985 geht ein Impuls einher, auch die Geschichte jüdischer Bewohner zu erforschen. Diese Pflege der Erinnerung an jüdische Bewohner und Bürger von Lippstadt war und ist ein Anliegen von Hans Christoph Fennenkötter. Ab Mitte der achtziger Jahre liegen uns von ihm, damals Vorsitzender des Heimatbundes, Veröffentlichungen zu den jüdischen Friedhöfen und Einzelschicksalen vor, er setzte sich auch ein für die Aufnahme der Synagoge in die Denkmalliste.
Es folgte dann zu Beginn der neunziger Jahre die Ausstellung "Leben und Leiden der jüdischen Bevölkerung in Lippstadt", die auch von einer Veröffentlichung im Rahmen der Spurenheftreihe begleitet wurde. Mit Schülerinnen und Schülern gemeinsam baute Christof Laumanns ein Holzmodell der Synagoge, das heute in der Edelstahlversion in der Stiftsstraße steht.
Wir haben dann 1995 eine Tafel in Erinnerung an die jüdischen Zwangsarbeiterinnen in der Hospitalstraße, dies auch als Folge der Arbeiten von Burkhard Beyer über jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter 1993 und Karin Epkenhans 1995 zur Entwicklung der Stadt im Nationalsozialismus. Es geht weiter mit der Errichtung des jüdischen Erinnerungsmals 2003, der Ausstellung "Sonderzüge in den Tod" 2009 und einer Reise mit Barbara Birkert nach Prag (auf den Spuren des David Gans) und Theresienstadt (in Erinnerung an deportierte Juden aus Lippstadt) ebenfalls 2009.
Die Schulen waren über Unterrichtsprojekte schon früh eingebunden in die Aufarbeitung der Zeit der Judenverfolgung. Schülergruppen übernahmen die Gestaltung der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am 9. November, im Unterricht entstand in Zusammenarbeit mit dem Archiv ein "Memorbuch", in dem die Schicksale der deportierten und ermordeten jüdischen Lippstädter Bürger aufgeschrieben werden sollten. Die Veröffentlichung von Dr. Walter Leimeier "Zufluchtsort Shanghai" geht ebenfalls auf Projektarbeit in der Schule zurück. Wir haben einige Straßenbenennungen und dann seit 2020 auch in der Synagoge einen Ort, an dem jüdisch geprägtes Leben und Kultur im Mittelpunkt stehen.
Mit der Verlegung von Stolpersteinen seit 2021 erreicht nun diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Pflege der Erinnerung an jüdische Menschen in Lippstadt eine neue Dimension, sie geht in die Fläche und bietet andere Möglichkeiten, die Inhalte zu vermitteln und von Interessierten aufrufen zu lassen.
Stolpersteine sind seit etwa 30 Jahren eine feste Größe im historischen Prozess der Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Deutschland und auch in Lippstadt. Das Konzept, auch in der jüdischen Community nicht unumstritten (z. B. Charlotte Knobloch), wurde in Lippstadt zunächst mit einer gewissen Distanziertheit betrachtet, es gab Stimmen, die meinten, das Erreichte und Publizierte reiche doch eigentlich aus.
Die Reaktionen von Bewohnern und Besuchern der Stadt am Erinnerungszeichen zeigen allerdings, dass es nicht ausreicht, dass nicht jeder Betrachtende sich eigenständig informiert, was es mit Zahlen, Fakten und Namen auf sich hat. Umgekehrt habe ich es erlebt, dass ein Schüler bei einer Stadtführung spontan auf die Stolpersteine der Familie Levy zuging und sagte: "Das kenne ich doch, das haben wir besprochen".
Deshalb sind die Stolpersteine wichtig, erinnern sie doch am letzten Wohnort an die Personen, die teilweise auch auf dem Erinnerungszeichen verzeichnet sind. Die ergänzende Aufbereitung der Informationen mit modernen Medien trägt dazu bei, Steine und Biographien zu verknüpfen und damit die Interessierten "abzuholen".
Mosbachs, um die es heute geht, wohnten hier am Südertor, ihr Haus ist zugleich auch das spätere "Judenhaus", in dem Jüdinnen und Juden zwangsweise leben mussten, nachdem ihnen eigene Wohnungen systematisch entzogen wurden. Die neuen Mitbewohner waren hier am Südertor in einem Stadium der Unsichtbarkeit angekommen, nicht mehr in Sichtweite der alten Nachbarschaft und schon bald auf dem Weg von hier nach Anröchte und Dortmund und dann weiter in die Konzentrationslager. Später hieß es dann oft, die Familie sei weggezogen, man wisse nicht genau, wohin.
Stolpersteine sind damit auch ein Mittel, jüdische Geschichte, die Schicksale von Menschen jüdischen Glaubens, wieder sichtbar zu machen und aus den Büchern, den Akten und den Denkmalen in die Straßen zurückzubringen, die sie einmal beherbergt haben. Sichtbarkeit ist nicht immer unmittelbar zu erreichen, das Beispiel der Synagoge zeigt, wie hinter einer Hausfassade Reste existierten, die nur wenigen Personen bekannt waren. Das Lichtkunstwerk über dem Eingang macht deutlich, wie versteckt noch heute Zeugnisse jüdischen Lebens in Lippstadt sind, zugleich weist es auch auf historische Parallelen hin (verborgene Kirchen in Amsterdam). Sichtbarkeit ist inzwischen auch ein politisches Thema, verzichten doch in einigen Städten Juden darauf, in der Öffentlichkeit ihre Kopfbedeckung zu tragen, um sich nicht Anfeindungen und Angriffen auszusetzen.
Mein Dank gilt der Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die die Verlegung und Dokumentation dieser Stolpersteine gemeinsam mit den Lehrkräften und der Unterstützung aus unserem Stadtarchiv vorbereitet haben. Aus dem Beispiel meiner Tochter, die 2009 am Memorbuch mitgearbeitet hat, schließe ich, dass diese Beschäftigung mit dem Thema Holocaust und der Familie Mosbach sie auch mitprägen wird, dass es mehr ist als nur ein Schulprojekt.
Zwanzig Stolpersteine sind bereits verlegt, weitere werden und sollten folgen, um auf diese Weise zum Erinnern beizutragen und gegen Unwissen, Unwillen und Indifferenz und damit das Vergessen anzugehen.
Dr. Marlies Wigge
Mehr Informationen gibt es hier:
https://kultur-in-lippstadt.de/stolpersteinehttps://stolpersteine.wdr.de/web/de/stolpersteinroute/380