Mitteilungen

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Schreibaufruf

Mein Tag in der Corona-Krise
Ein wissenschaftliches Projekt des Stadtmuseums Lippstadt in Anlehnung an Sammlungsaufrufe der Volkskundlichen Kommission für Westfalen und des Seminars für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Universität Münster
(Formulierungen werden - sofern möglich - aufgrund der wiss. Vergleichbarkeit der Erhebung teilweise wörtlich einer Erhebung von 2005 entnommen und für den aktuellen Fall ergänzt bzw. präzisiert)
Das Stadtmuseum Lippstadt sammelt, bewahrt, erforscht und vermittelt die Geschichte der Menschen vor Ort. Es geht um Ihren Alltag, Ihre Erlebnisse und Strategien, das Leben zu gestalten, Ihre Gefühle und Gedanken. Anlässlich der Ereignisse um die Corona-Krise mit ihren neuen Verhaltensregeln, die uns alle in unserem Alltag betreffen, bitten wir um Mithilfe. Wir möchten einen Tag in Ihrem Leben in dieser Krise für später, für nachfolgende Generationen festhalten.
Mitmachen kann jeder: jung oder alt, Mann oder Frau, Stadt- oder Landbewohner. Ob Sie in Deutschland oder an einem anderen Ort in der Welt geboren sind, ob Sie an einer Universität oder in einem Supermarkt arbeiten, ob Sie noch in der Ausbildung, pensioniert oder gerade arbeitslos sind - wir interessieren uns für Sie und Ihre Kinder und Ihre Erlebnisse an einem Tag in der Corona-Krise.
Geschichten aus dem Alltag
Wir sammeln Ihre Geschichten aus dem Alltag und machen die Corona-Krise damit zu einem historischen Ereignis. Sie haben die Möglichkeit, Geschichte zu schreiben!
Erzählen Sie uns, wie Ihr Alltag allein und mit anderen aussieht: Wer hat Sie geweckt? Wo und was haben Sie gefrühstückt? Hat es Ihnen geschmeckt? Wie haben Sie auf das Wetter reagiert? Wie war Ihr Arbeitstag?
Was hat Sie beschäftigt - Gedanken, Ängste, Hoffnungen, Zuversicht? Was hat sich verändert in der Corona-Krise? Was planen Sie für die Zukunft?
Manche Menschen werden jede Stunde genau protokollieren, was sie getan und gefühlt haben; andere werden nur über die wichtigsten Abschnitte des Tages berichten. Sie entscheiden selbst, was Sie mitteilen möchten. Die Länge des Briefes spielt keine Rolle, auch nicht, ob er handgeschrieben oder getippt ist oder ob er vielleicht Rechtschreibfehler enthält.
Warum wollen wir das alles von Ihnen wissen?
Alles, was nicht in den Geschichtsbüchern steht, ist oft nach einer Generation vergessen. So wissen wir schon heute nicht mehr genau, wie der Alltag vor 50 Jahren aussah.
Von der Corona-Krise werden Geschichtsbücher berichten, aber wenn wir heute nicht genau aufschreiben, was jeder von uns erlebt, fühlt und denkt, dann werden nachfolgende Generationen diese Krise nicht verstehen.
Deshalb fragen wir SIE heute, wie SIE Ihren Alltag gestalten. Schreiben Sie über einen spezifischen Tag in der Corona-Krise und erzählen Sie den Menschen in der Zukunft von Ihrem Leben. Schreiben Sie Geschichte! Helfen Sie uns, ein Archiv für die Zukunft anzulegen. Kein Detail ist dabei unwichtig.
Was sollte in Ihrem Brief unbedingt stehen?
Damit wir Ihre Geschichten einordnen können, benötigen wir einige Informationen über Sie. Bitte teilen Sie uns in Ihrem Brief unbedingt mit:
•Ihr Geschlecht
•Ihr Geburtsjahr
•Ihren Geburtsort
•Ihren Wohnort
•die Anzahl und das Alter Ihrer momentanen Mitbewohner
•Ihren Beruf
•das Datum Ihres ausgewählten Tages während der Corona-Krise
Sie entscheiden, ob Sie Ihre Geschichte mit Ihrem Namen unterzeichnen oder nicht. Ihre Geschichte schicken Sie uns in einem verschlossenen Umschlag zu. Sie entscheiden, wann der Umschlag für wissenschaftliche Zwecke geöffnet und ausgewertet werden soll: Entweder nach 2 Jahren oder nach 50 Jahren.
Schreiben Sie oben links eine "50" auf den Umschlag, dann wird er erst in 50 Jahren geöffnet.
Warum überlassen wir allein Ihnen, was Sie schreiben möchten?
Warum schicken wir Ihnen keinen Fragebogen darüber, was wir wissen wollen? Ganz einfach: Wir möchten Sie nicht einschränken, weil wir Ihnen genau zuhören wollen. Wir wissen nicht, welche Themen Ihnen gerade am Herzen liegen und auch nicht, was für nachfolgende Generationen an Ihrer Schilderung Ihres Alltags in dieser Corona-Krise wichtig sein wird.
Kann man außer Texten noch etwas mitschicken?
Ja! Auch Fotos von "Ihrem" Tag interessieren uns, Zeichnungen, Belege, alles, was flach und aus Papier ist, können wir archivieren.
Was passiert mit Ihrem Brief?
Alle Briefe werden in den Magazinbereichen des Stadtmuseums Lippstadt in der Rathausstraße, später im Depot des Stadtmuseums für die Zukunft aufbewahrt.
Wohin mit den Briefen?
Ihren Brief schicken Sie uns bitte an das


Stadtmuseum Lippstadt
Rathausstraße 13
59555 Lippstadt

Stichwort/Betreff: „Mein Tag“

- oder werfen Sie ihn einfach in unseren Hausbriefkasten, Rathausstraße 13.

Falls Sie Ihren Bericht per Email zusenden möchten, machen wir Sie darauf aufmerksam, dass wir Ihre Email ausdrucken und dann in Papierform archivieren. Hierfür nutzen Sie bitte die Email-Adresse:
stadtmuseum@stadt-lippstadt.de

Ansprechpartner:
Dr. Christine Schönebeck
Stadtmuseum Lippstadt
Rathausstraße 13
59555 Lippstadt

Dr. Christine Schönebeck, Leiterin Stadtmuseum Lippstadt

Vorstellung des neuen stellvertretenden Vorsitzenden Andree Scheidler


Liebe Heimatfreundinnen, liebe Heimatfreunde,
an dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich den Mitgliedern vorzustellen. Die/der ein oder andere mag mich bereits von unseren gemeinsamen Radtouren kennen. Auf der letzten Jahreshauptversammlung wurde ich zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Hierfür möchte ich mich noch einmal herzlich bei Ihnen bedanken! Das Wichtigste vielleicht vorweg: Ich bin ein Lippstädter Kind, 1967 hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen und fühle mich seitdem dieser Stadt sehr verbunden. Man könnte auch sagen: Sie liegt mir am Herzen, insbesondere was die Heimatgeschichte(n) und deren Bewahrung betrifft. Das ist auch der Grund, warum ich trotz jahrelanger Auswärtstätigkeit meinen Lebensmittelpunkt immer hier behielt. Gleich nach dem ich mich auch beruflich wieder nach Lippstadt orientiert habe (ich bin hier als Steuerberater tätig) und damit mehr Zeit vor Ort bin, habe ich mich für den Heimatbund interessiert und wurde 2003 in den Beirat gewählt. Seit drei Jahren erstelle ich gemeinsam mit Dr. Walter Leimeier diese Mitteilungsblätter. In all diesen Jahren habe ich immer viel Freude daran gehabt, den Heimatbund Lippstadt zusammen mit allen anderen Mitgliedern unterstützen zu dürfen. Das soll auch zukünftig so bleiben.
Beste Grüße Andree Scheidler

 

Wolfgang Maron: Der Auftakt der Novemberrevolution in Lippstadt

Das Ende des Ersten Weltkrieges und der Beginn der Revolution von 1918/19 – beides jährt sich in diesem Herbst zum einhundertsten Mal - stehen weit weniger im Zentrum des regionalen Erinnerung als dies bei den Ereignissen von 1945 und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall ist. Während Deutschland im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten erobert und besetzt wurde, lagen die Kriegsschauplätze am Ende des Ersten Weltkrieges weit entfernt von den Grenzen des Reiches. Die Menschen in der Heimat waren über die wirkliche Lage an der Front nicht informiert. Bis zuletzt dominierten trotz aller Einschränkungen, die im Kriegsverlauf die das Leben der Menschen in der Heimat belasteten, Siegeszuversicht und Patriotismus die Medien. Der militärische Zusammenbruch Ende Oktober 1918 traf die meisten Menschen daher völlig unvorbereitet und stieß auf Unverständnis, und auch der politische Umschwung, der Zusammenbruch des Kaiserreiches und die Novemberrevolution kamen für die meisten Menschen in unserem Raum überraschend.

Die Revolution begann Ende Oktober mit einem Aufstand in der Kriegsmarine. Meuternde Matrosen und Soldaten und streikende Arbeiter übernahmen an vielen Orten die Macht und beschleunigten den Zusammenbruch der alten monarchischen Ordnung. Ausgehend von den Hafenstädten an Nord- und Ostsee griff die Bewegung auf die Großstädte im Reich über. Höhepunkt war der 9. November, an dem in Berlin die Abdankung des Kaisers verkündet und die Republik ausgerufen wurde. Am selben Tag begannen auch in Lippstadt Unruhen unter Soldaten.

„Der Umsturz trat plötzlich am 9.11.18 ein“, schreibt Bürgermeister Walter Nohl in einem Bericht an den Regierungspräsidenten zwei Tage später. Wie an vielen Orten waren es durchreisende auswärtige Soldaten, die an diesem Tage die Soldaten des Lippstädter Bataillons „aufwiegelten“ – es war das Ersatzbataillon des Reserve-Infanterie-Regiments 55, das seit Ende Oktober 1916 in Lippstadt stationiert war. Woher die Soldaten kamen, ist nicht bekannt. Möglicherweise kamen sie aus Soest. Dort hatten auswärtige Matrosen schon in der Nacht agitiert und die Soldaten in der Stadt zur Gründung eines Soldatenrates bewegt.

Gleiches geschah an diesem Tag, es war ein Samstag, in Lippstadt. Es entstand, um wieder den Bürgermeister zu zitieren, „eine allgemeine Unruhe unter den Soldaten und auf den Straßen.“ Offizieren und Soldaten wurden „mit und ohne Gewalt“ Achselstücke und Waffen abgenommen. Insgesamt hielten sich die Ausschreitungen aber in Grenzen. Ein provisorischer dreiköpfiger Soldatenrat nahm im Laufe des Nachmittags Kontakt mit dem Bürgermeister auf. Ziel des Rates war, Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten. Vor öffentlichen Gebäuden und wichtigen Einrichtungen wie den Banken wurden Posten aufgestellt. Sie konnten aber bereits gegen 20 Uhr wieder eingezogen werden, da in der Stadt alles ruhig blieb.
Am nächsten Tag, dem 10. November, setzte sich die Bewegung fort. Der Soldatenrat bildete sich neu. Jetzt nahm er Kontakt zu führenden Sozialdemokraten in der Stadt auf. Um 12 Uhr wurde dem Bürgermeister die Namen eines zehnköpfigen Arbeiter- und Soldatenrates mitgeteilt, bestehend aus fünf Soldaten der Garnison und fünf Vertretern des sozialdemokratisch orientierten Metallarbeiter-Verbandes. Eine Parteiorganisation der SPD gab es in Lippstadt noch nicht.
Dieser Arbeiter- und Soldatenrat veröffentlichte in der Presse den folgenden Aufruf:


Bürger und Kameraden haltet Ruhe und Ordnung!
Am 9. November ist ein Arbeiter- und Soldatenrat mit der Polizeiverwaltung zusammengetreten. Er wird im gesamten Stadtgebiet die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung im vollen Umfange aufrechterhalten. Die Aufsichtspersonen und die Polizeibeamten sind durch eine vom Arbeiter- und Soldatenrat gestempelte weiße Armbinde kenntlich. Ihren Weisungen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung ergehen, ist unverzüglich Folge zu leisten.
Gegen Uebergriffe gegen Leben und Eigentum wird unverzüglich mit der Waffe eingeschritten. Wer plündert und raubt, wird erschossen. Jeder muß unverzüglich seinen Geschäften nachgehen. Kein Streik darf den Arbeitsverkehr stören und hindern.
Die Wachmannschaften haben folgende Instruktionen erhalten:
Inhaber dieses Ausweises hat Befehl, die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung im ganzen Stadtgebiet zu wahren, seinen zweckentsprechenden Anordnungen unverzüglich Folge zu leisten. Wer plündert und raubt oder das Leben seiner Mitmenschen mißachtet, hat sein Leben verwirkt.
Der Arbeiter- und Soldatenrat.


Anders als in der Darstellung des Bürgermeisters wird hier schon für den 9. November von einem Arbeiter- und Soldatenrat gesprochen. Entscheidend ist indessen, dass auch in diesem Aufruf die Begriffe Ruhe, Sicherheit und Ordnung im Zentrum stehen und sogar Streiks werden verboten. Die angestrebte politische Neuordnung sollte nicht durch Unruhen, Plünderungen oder ähnliches gefährdet werden.

Am Sonntagnachmittag fand vor dem Rathaus eine große Kundgebung statt, bei der Vertreter des Soester Soldatenrates sowie führende Sozialdemokraten aus Bielefeld auftraten, darunter der ostwestfälische Parteiführer Carl Severing. Sie hielten Ansprachen zur aktuellen Lage und warben für eine neue, republikanische Staatsform. Der wohl ebenfalls anwesende Bürgermeister konnte feststellen, dass sich die Reden „in maßvollen Grenzen hielten und nicht hetzerisch waren.“ Die folgende Nacht verlief wiederum ruhig.

Der ruhige Verlauf der Ereignisse setzte sich in den folgenden Tagen und Wochen fort. Das zeigte sich am folgenden 11. November, als der Arbeiter- und Soldatenrat zu einem Volks- und Soldatenrat umgestaltet wurde, an dem sich auch Vertreter der nichtsozialistischen Arbeiterorganisationen beteiligten. Dieser Schritt entsprach dem Konzept Carl Severings, der es in ähnlicher Weise auch in Bielefeld durchgesetzt hatte. Der Name sollte, so Severing, deutlich machen, dass der Arbeiterschaft Diktaturgelüste fernlagen. Auch Bürgermeister Nohl setzte sich in Verhandlungen aktiv dafür ein. Wie sich bald zeigen sollte, entsprach das Konzept nicht zuletzt den Kräfteverhältnissen innerhalb der Lippstädter Arbeiterschaft.

Gleichwohl bedeuteten die Ereignisse des 9. bis 11. Novembers einen politischen Umschwung. Konsequenterweise machte der Volks- und Soldatenrat klar, dass er sich nunmehr für die entscheidende politische Kraft in der Stadt hielt. In einem Aufruf erklärte er wenige Tage später unmissverständlich: „Die Vertreter der Militär- und Zivilbehörden sind nur die ausführenden Organe des Volks- und Soldatenrats, in dessen Händen die Gewalt restlos ruht.“

(Weitere Einzelheiten zu den Ereignissen, zum Volks- und Soldatenrat und zur weiteren Entwicklung in Lippstadt sind Themen des Vortrages „Zwischen Kaiserreich und Republik. Lippstadt in der Revolution 1918/19“ am 14. November 2018 im Stadtarchiv.)

Wo in Lippstadt der Himmel wohnt oder Götterdämmerung in Lippstadt?

Der Rokokosaal im Haus Köppelmann (Lange Straße)

Leben, wie Gott in Lippstadt? Ja, das ist möglich – im Haus Köppelmann an der Langen Straße. Bis heute geben sich dort die alten Götter der römischen Antike ihr Stelldichein, und das, obwohl es um sie herum längst still geworden ist. – Zu still.

In diesem heute fast nur noch als Geschäftshaus bekannten Haus gibt es im 1. Stock einen Rokoko-Festsaal, der zu den schönsten in Westfalen gehört. Er stammt noch aus den großartigen Anfängen des Hauses, die mittlerweile fast genauso in Vergessenheit geraten sind, wie der Festsaal selber.

Die älteren Lippstädter können sich zumindest noch an das „Hotel Köppelmann“ erinnern. Dieses Hotel war über Generationen hinweg die 1. Adresse der Stadt.

Viele berühmte Persönlichkeiten übernachteten in diesem feinen Anwesen. Allen voran Friedrich der Große, aber auch der preußische König Friedrich Wilhelm III. sowie der russische Zar Alexander I. Später erwiesen auch zahlreiche Politiker und Präsidenten der Bundesrepublik dem Haus ihre Ehre.

Das Haus Köppelmann war allerdings nicht von Anfang an ein Hotel.

Erbaut wurde es 1721 als repräsentativer adliger Herrschaftssitz des preußischen Festungskommandanten Graf von Redberg. In dieser Zeit entstand auch die prachtvolle Rokoko-Innengestaltung.

1761 kaufte die Familie Zurhelle das Haus. 1795 oder 1800 wechselte das Haus erneut seinen Besitzer. Ein Herr namens Köppelmann betrieb in der Poststraße die Poststation mit einer angrenzenden Herberge. Reisende mit der Postkutsche konnten dort einkehren und übernachten. Mit dem Kauf des Retberg’schen Palais ließ sich der Gasthofbetrieb erweitern. Das Retberg’sche Stadtpalais wurde somit ein Gästehaus für die gehobenen Ansprüche.

Die Küche genoss einen legendären Ruf über die Stadtgrenzen hinaus. Aus dieser Zeit hat sich ein Reim erhalten:

Peter, die Post ist da, Peter steig ein!
Willst du nicht mit mir fahr’n, fahr ich allein
Fahr ich nach Köppelmann, krieg ich Kartöffelkens
Braten und Wein, Braten und Wein!

Ab den 1870er Jahren führte Carl Ostwinkel mit seinen Söhnen das Hotel erfolgreich weiter – bis 1966, dann wurde das Restaurant geschlossen, und das gesamte Erdgeschoss mit seiner einst prachtvollen Rokokoausstattung fiel vollständig der Spitzhacke zum Opfer für den Einbau von Geschäften. Neun Jahre später wurde der Hotelbetrieb ebenfalls aufgegeben. Für einige Jahre blieb der große Festsaal im Obergeschoss immerhin noch als „Café Rokoko“ zugänglich, aber dann war auch damit Schluss.

Seitdem versinkt das einst schönste Haus von Lippstadt in einen Dornröschenschlaf und wartet sehnsüchtig auf Rettung und Wiederentdeckung.

Das Herzstück des Hauses ist sein ehemaliger Festsaal, heute bekannt unter „Rokokosaal“ im 1. Obergeschoss.

Das umfangreiche Bilderprogramm zieht sofort den Besucher in seinen Bann. Fröhliche Gemälde an den Wänden illustrieren das Leben der feinen Gesellschaft im Verlauf der Monate und Jahreszeiten und laden den Betrachter ein, dem lustigen Treiben beizuwohnen. Höfisches Leben und Landleben sind dabei künstlerisch vereint. Denn die Bilder erzählen nicht nur vom eleganten Leben der adligen Hausbesitzer, sondern auch von ihren Träumen über das einfache Landleben.

Zwei Türen rechts und links des Kamins führen in Nebenräume. Die Malereien über den Türen widmen sich den Freuden des Gesellschaftsspiels, sowie dem Genuss von Wein und Pfeifentabak.

Stillleben von Früchten und Weinkaraffen lassen dem Betrachter das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Die Tugenden über dem Kamin mahnen, dass bei all dem lustigen Treiben der Anstand gewahrt wird.

Und über allem strahlt die Sonne im Zentrum der Decke.

Um die Sonne herum hat sich die römische Götterfamilie versammelt. Die Szenerie wird von einem Stuckkranz umrahmt, mit den Symbolen der Wochentage, die denen der Götter im Zentrum entsprechen. Zeit und Lebenslust wird in die göttliche Ordnung eingebunden.

Das gesamte Bildprogramm, allen voran die Monatsbilder entlang der Wände, atmet den Geist der Aufklärung durch und durch. Nach den Querelen der Konfessionskriege und dem beschwörenden Pathos des Barock setzte sich nun die Vernunft durch. Vernunft und Aufklärung als kulturelle und gesellschaftliche Leitidee hatte die Menschen in Bewegung gesetzt. Die Aufklärung bewirkte langfristig eine grundlegende Neuordnung auf philosophischer und sozialer sowie politischer Ebene – bis heute.

Damit verbunden war auch der Drang, sich über gesellschaftliche Themen zu unterhalten und auszutauschen. Dies geschah vielerorts in privaten Salons/Treffpunkten, wo man ungeachtet der Schranken von Klasse und Geschlecht frei seine Ideen austauschen konnte.

Ob sich in diesem Saal einst eine Salongesellschaft traf und über die neue aufgeklärte Gesellschaft diskutierte? Wir wissen es nicht. Die Malereien an den Wänden und an der Decke tun dies sehr wohl.

Übrigens wurde Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“ bereits 1781 in Lippstadt aufgeführt. Darüber berichtete ausführlich die Berliner Litteratur- und Theaterzeitung. In diesem Stück geht es ausgerechnet um die Liebe eines adligen Militärhauptmannes zu einem bürgerlichen Mädchen, in deren Verlauf beide Partner ihre Liebe retten möchten und dafür abwechselnd ihren eigenen Gesellschaftsstand negieren, woraus sich immer wieder schräge Verwicklungen ergeben.
Leider schreibt die Zeitung nicht, wo genau in Lippstadt das Stück aufgeführt wurde.

Der Rokokosaal würde natürlich bestens passen, denn er hätte schon allein mit seinem Bildprogramm den perfekten Rahmen für die Aufführung von Lessings „Minna von Barnhelm“ abgegeben. Außerdem war der Erbauer ebenfalls ein adliger Militärhauptmann. Schließlich war der Rokokosaal damals der wohl schönste Saal Lippstadts und, da Teil des angesehensten Gasthofs Lippstadt, öffentlich zugänglich. Eine Art „Stadttheater“ gab es damals noch nicht.

Der Rokokosaal im Haus Köppelmann ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Malerei und Plastik zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen können. Das Stukkatieren war damals übrigens eine hochgradige künstlerische Tätigkeit, die weit über das Kunsthandwerkliche hinausgeht und ähnliches Ansehen genoss wie Malerei und Architektur.

Wie dem auch sei – Rettung und Wiederentdeckung des Hauses Köppelmann sind dringend nötig. Das Herzstück des Hauses, der „Rokokosaal“, bedarf zudem einer dringenden Restaurierung. Die Ölgemälde an den Wänden sind mittlerweile so nachgedunkelt, dass kaum noch Details zu erkennen sind. Auch der Stuck müsste restauriert werden. Sonst erwartet Lippstadt wohl doch noch seine Götterdämmerung – und die Götter fallen im wahrsten Sinne vom Lippstädter Götterhimmel herunter.

Vielleicht könnte der Rokokosaal eine neue Salonkultur befördern? Der Blick auf die Ideale von Aufklärung und Vernunft mögen gerade auch in Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen eine wichtige Stütze sein.

Davon ganz abgesehen – Kammermusik im Rokokosaal zu erleben, sollte mehr sein als nur ein Traum.

Um diesen besonderen Ort für Lippstadt zu erhalten, müssen wir anerkennen, dass eine private Eigentümergemeinschaft für eine solch große und kostenintensive Verantwortung hoffnungslos überfordert ist. Hier sind kluge Ideen gefragt.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Rokokosaal in Gefahr war. Dass er überhaupt noch existiert, haben wir übrigens Prinz Heinrich von Preußen, Bruder des letzten Kaisers, zu verdanken. Er hatte ihn höchstpersönlich wiederentdeckt. Er kam immer wieder nach Lippstadt und wohnte jedesmal im Hotel Köppelmann. Er liebte die besondere Atmosphäre des Hauses. Besonders der Rokokosaal hatte es ihm angetan, obwohl er damals durch Übermalungen ziemlich verfremdet aussah. Trotzdem erkannte er die besondere Qualität des Rokokosaals. Er bezahlte einen großen Anteil der dringend notwendigen Restaurierung des Saals aus seiner Privatschatulle.

Barbara Birkert und Heinrich Münz



IMFLUSS LIPPE

In der Ausstellung fand ein Fundobjekt aus der Lippe einen besonderen Platz und erinnerte an die Zeit der Lippeschifffahrt, die zunächst Transportzwecken diente und zuletzt der Gewinnung des geschätzten Lippesandes als Baumaterial.
Peter Ferlemann entdeckte das ausgestellte Fragment eines Lippeschiffs auf einer Tauchtour in der Lippe. in einem Gespräch vermittelte er mir, dass das Tauchen in der Lippe eine besondere Aktivität ist, die nicht gerade zum Breitensport zählt. Der folgende Text fasst zusammen wie wir gemeinsam (auf dem Trockenen) „der Lippe auf den Grund gegangen“ sind.
Peter Ferlemann wohnt und arbeitet im Süden der Stadt und taucht seit mehr als zwanzig Jahren. Aus dem Angler wurde nach einigen Lehrgängen ein Taucher, der auch Mitglied im Tauchclub Oktopus ist. Dieser Verein mit mehr als 100 Mitgliedern legt großen Wert auf eine solide Ausbildung und vermittelt die technischen Grundlagen des Tauchens, verleiht auch schon mal Gerätschaften und bietet den Tauchsportfreunden einen Rahmen für gemeinsame Aktivitäten. Tauchen ist ein Hobby, bei dem es auf Sicherheit ankommt, also ist die Gruppe von zwei oder mehr Tauchern die Regel, um Unfälle zu verhüten. Anders als viele seiner Vereinskollegen reizt Peter Ferlemann jedoch nicht nur das Tauchen in heimischen Seen oder in weiter entfernten exotischen Tauchrevieren, sondern gerade das „Kaltwassertauchen“ zu jeder Jahreszeit und besonders in der Lippe und kleinen Baggerseen rund um Lippstadt.
Die Vorbereitung muss sorgfältig sein, denn die Tauchausrüstung wiegt bis zu 40 kg, so dass Route und Zugang nicht zu viel „Landstrecke“ enthalten sollten. Zur Ausrüstung gehören Neopren- oder Trockenanzug, Flossen, Taucherbrille, Schnorchel oder Pressluftgerät, dazu ein Bleigürtel der das „Schweben“ im Wasser ermöglicht. Taucher sollten nicht nur sorgfältig auf den Zustand der Ausrüstung achten, sondern auch fit und gesund sein. Ein jährlicher Medizincheck ist Pflicht und Tauchen bei Schnupfen oder Unwohlsein nicht angeraten. Tauchen in der Nähe von Wehren und Schleusen ist nicht angebracht, ebenso verbietet es sich zu den Brutzeiten verschiedener Wasservögel. Abhilfe schafft da manchmal ein weniger störendes Sichtrohr.
Peter Ferlemann taucht mit einigen Gleichgesinnten in der Lippe und den Baggerseen. Seine Tauchgänge sind geplant und werden in einem Logbuch dokumentiert. Die zweite Person sichert bei einem Tauchgang den Taucher mittels Leine und ist im Notfall einsatzbereit. Unter Wasser ermöglichen Stirnlampe und GPS-Gerät die Orientierung und Verortung, so dass gezielt auch das Leben im Fluss erforscht werden kann. Fotapparat und auch Filmkamera sind bei jedem Tauchgang dabei. Taucher sind also in der Ausübung gesellige Menschen, die besonders geselligen und dazu abgehärteten treffen sich am Heiligabend am Alberssee denn auch zum Tauchen und einer besonderen Weihnachtsfeier.
Seinem großen Ziel, die Lippe von der Quelle bis zur Mündung in den Rhein mit einer engen Kette von Tauchgängen zu erforschen, ist Peter Ferlemann schon ein gutes Stück nähergekommen. Inzwischen taucht er auch im Dienst der Wissenschaft und erforscht die Flora und Fauna im Fluss. Gestochen scharfe Fotos zeigen, dass im Wasser kleinste und kleine Wesen existieren, durchweg in trauter Nachbarschaft oder auch Symbiose. Eine besondere Bachmuschel, ca 6 cm groß, mit dem Namen „Unio crassus“ beschäftigt ihn schon seit ihrer Entdeckung in der Näher von Garfeln im Jahre 2012. Diese kleine Muschel, die entgegen aller Vermutungen doch noch in kleinen Beständen in der Lippe existiert, wird im Rahmen eines Forschungsprojektes mit Unterstützung der Bezirksregierung untersucht. Unio crassus ist unauffällig, aber wie andere einheimische Muschelarten als biologischer Wasserreiniger sehr wirksam. Die kleine Muschel hat viele Feinde, eingewanderte Muscheln und Krebsarten und natürlich den Menschen, der mit seiner Nutzung des Flusses der Muschel zusetzt. Fische verbreiten die Muschelbrut, wenn sie sterben, geht es auch den Muscheln schlecht.
Die Lippe kennt Peter Ferlemann in dem Zustand vor der Renaturierung und natürlich auch im jetzigen Zustand. Er ist begeistert von der Vielfältigkeit des Lebens im Fluss, die mit der Ausweitung, der Anlage von Schleifen, der Schaffung von natürlichen Uferzonen usw. wieder auftrat. Die Tiefe des Flusses liegt zwischen knapp einem Meter in der entfesselten Zone und mehr als 7 Metern in Bereichen, die noch nicht umgestaltet sind. Auch die Tiefwasserzonen werden aber von der Natur genutzt und besetzt. Umgestürzte Bäume und Schilfgürtel sind ideal für Kleinlebewesen, um im Fluss zu leben und zu überleben, wenn Angler und Raubfische ihnen zu Leibe rücken. Auch der Müll, der seit Jahrhunderten immer wieder im Fluss landete, wird Teil der Lebensumwelt von Fischen, Muscheln und Pflanzen.
Funde zu machen ist nicht das oberste Ziel des Tauchers. Ihm geht es um das Erlebnis, die Eindrücke, die Ruhe beim Tauchen und auch die Freude, neue Tiersorten wieder im Fluss entdeckt zu haben. Es sind aber doch manchmal Funde in der Lippe, die die Fische nicht als Lebensraum beanspruchen und die als Müll entsorgt werden sollten. Dazu gehört z.B. eine Natogranate, die, kaum gefunden, dann schon als gefährliches Objekt den zuständigen Behörden gemeldet wurde. Die Polizeitaucher rückten an, unterstützt von Sicherheits –und Rettungskräften, und mit größter Vorsicht wurde das gefährliche Objekt geborgen und entschärft.
Zu den größeren Fundobjekten gehört das schon erwähnte Lippeschiff, das im Schlick der Lippe lag. Das alte Arbeitsboot war irgendwann einmal in der Lippe gesunken und lag so günstig im Ufernähe, dass eine Bergung mit einem starken Bagger möglich wurde. Das komplette Schiff hätte nicht in die Ausstellung gepasst, der ausgestellte Teil wird aber möglichst mit dem Rest zusammen einen Platz in der Stadt finden, so hofft Peter Ferlemann. Das bisher in Benninghausen eingelagerte Schiff bzw. Boot sollte auf keinen Fall auf dem Schrott landen, meint sein Finder.
Andere Objekte bleiben im Fluss, so ein altes Lorenrad, das noch aus der Zeit stammt, als man oberhalb von Lippstadt Raseneisenerz förderte, dies dann flussabwärts verschifft wurde und in Form von Fertigeisenwaren, z.B. Öfen wieder den Lippstädter Raum erreichte.
Die Zusammenarbeit mit den Ausstellungsfachleuten in Lippstadt und Paderborn hat für Peter Ferlemann dazu geführt, dass er nun mit einem „Blick aufs Historische“ taucht, gelegentlich unterstützt von einem der Wissenschaftler, die er jüngst im Rahmen der Ausstellung kennenlernte.
Es gibt Objekte, die im Fluss liegen, die weder Fische noch Taucher brauchen oder wollen, so z.B. ein altes Sofa oder Autobatterien. Die meisten Besucher und Nutzer der Lippe, so hat Peter Ferlemann beobachtet, respektieren den Fluss und freuen sich über erweiterte Freizeitmöglichkeiten. Die anderen, so hofft er, werden es schon noch merken, müssen einfach als negative müllhinterlassende Begleiterscheinung gesehen zu werden. Die Lippe als Wasserlieferant, Transportweg, Mittel zur Verteidigung, Freizeitfaktor und Gewässer ist ein besonderer Fluss, ist sich der Taucher Ferlemann sicher, die Artenvielfalt ist genauso wichtig wie der Hochwasserschutz, und das hat man ja auch bereits erkannt und umgesetzt.
Wir wünschen dem Taucher Peter Ferlemann allzeit gute Sicht und viele Erlebnisse und danken für das Gespräch zum Thema Lippe.
Marlies Wigge
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