DAS HOSPITALSTRAßE 46 ALPHABET


R wie Rüstungsbetrieb

WMI-Werbeplakat Lippstädter Lampen in der KriegsverwendungNichts hat die deutsche Industrie so sehr in ihrer Entwicklung und im Bestand erschüttert wie die beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert. Die Kriegszeit und die Nachkriegsjahre veränderten alle Rahmenbedingungen von Produktion, Mitarbeiterschaft und Verwaltung. Unternehmertum war im Ausnahmezustand! Auch die alte WMI in der Hospitalstraße durchlief diese schweren Zeiten. Eine zukünftige Betrachtung der Vorgänge zur plötzlichen Produktionsumstellung von Friedens- auf Kriegswirtschaft würde Hinweise über Schlüsselgrößen von Flexibilität und Robustheit in Produktionsprozessen und Verwaltungsstrukturen ergeben und wäre historisch interessant. Denn - hoffentlich nie mehr durch „Kriege“ - kommen sicher in Zukunft ähnliche Industrieanforderungen auf uns zu: Massive Auswirkungen des Klimawandels, plötzliche politisch verursachte Rohstoffverknappung, Bevölkerungsmigration und globale Marktschwankungen. Aber zurück zur Hospitalstraße: Die Mobilmachung 1914 kam auch für die WMI plötzlich. Die Umstellung von Friedens- auf Kriegsproduktion scheint aber schnell und reibungslos verlaufen zu sein, zeigt die Flexibilität des damaligen Produktmanagements. Auch wenn die Details der Herstellung von Kriegsmaterial im „alten Werk“ in der Hospitalstraße bisher nicht genau untersucht sind, kann man davon ausgehen, dass hier kriegsrelevante Produkte oder Produktteile der WMI gefertigt wurden. Neben Scheinwerfern und Lampen produzierte man Handwaffen, Zubehör für Geschosse (Schlag- und Reibzündschrauben), Handgranatenzünder und füllte auch „Pulver“ ab! Noch 1918 zeigt ein WMI-Werbeplakat Lippstädter Lampen in der Kriegsverwendung, anscheinend selbst im Orient! Wie in nicht wenigen Industriebetrieben ergab auch bei der WMI die „Kriegswirtschaft“ enorme Umsatz- und Gewinnsteigerungen. Zwischen 1914 und 1918 wuchs das Umsatzvolumen um mehr als 400% und die Anteilseigner/Aktionäre erhielten Dividenden von 25%! Der verlorene Krieg machte dann aber alles zunichte und nur mit viel Glück und durch Geschick der neuen Mehrheitsgesellschafter, der Familie Hueck, überlebte das Unternehmen in den 20er Jahren.

Die Welt blieb aber nicht lange friedlich. Ab 1933 förderte und verlangte die nationalsozialistische Regierung industrielle Rüstungsanstrengungen. Ein Unternehmen wie die WMI blieb da nicht außen vor. So kamen Scheinwerfer und elektrische Ausrüstungen für den KdF „Volkswagen“ aus Lippstadt! Der zivile Anschein vieler dieser innovativen Mobilitätsentwicklungen war bereits in Richtung Kriegsverwendung angelegt, führte aber erst einmal in der Bevölkerung zu materiellem Aufschwung und wurde positiv bewertet. Mit dem Kriegsbeginn 1939 lief alles wieder in Richtung Rüstungsproduktion! Die WMI erfand u. a. Scheinwerfertarnvorrichtungen für Autos und Krafträder und produzierte 1943/1944 fast 900000 „Kriegsnormscheinwerfer“. Schon 1939/40 betrug der Produktumfang im Rüstungsbereich fast 58%! Wie im ersten Weltkrieg wurde auch Munition hergestellt und Präzisionsinstrumente wie z. B. Drehzahlmesser. 1945 war dann wieder alles desolat…

Lippstadts WMI zeigt einen hochinteressanten lokalen Fokus der industriegeschichtlichen Entwicklungen im Deutschland des 20. Jahrhundert! Die Hospitalstraße wirkt wie ein kulturpädagogisches Schaufenster auf gesellschaftsrelevante Industrieaspekte!