DAS HOSPITALSTRAßE 46 ALPHABET


O wie Obdachlose

Wen haben die Fabrikgebäude der alten WMI in der Hospitalstraße nicht schon alles beherbergt? Natürlicherweise arbeiten in einer Fabrik Menschen, aber Wohnen? Wahrscheinlich kein Gebäudekomplex in Lippstadt besitzt eine derart verschiedene und merkwürdige Wohngeschichte wie die Hospitalstraße 46. Die Mauern hörten im Laufe der Jahre neben einem „Deutsch“ aus unterschiedlichen Landesteilen, auch russische, ungarische, polnische, tschechische, italienische, griechische, spanische, französische und jugoslawische Stimmen. Meistens lebte es sich hier nicht glücklich und manchmal wurde auch aus Heimweh gesungen. Ein Ort, dessen Wohngeschichte von grausamer Gefangenenunterkunft bis hin zum caritativen Schlafplatz für Menschen in schweren Lebenssituationen reicht. Die Sozialgeschichte dieser besonderen Lippstädter Gebäude ist leider bis heute historisch nicht so erfasst, dass sie als Teil der Stadtgeschichte öffentlich vermittelbar wäre. Hier herrscht dringender Nachholbedarf im städtischen Geschichtsblick, nicht nur, um eine grassierende Geschichtsvergessenheit zu stoppen!
Heute findet man ein kleines Herz über der Eingangstür, von einem Unbekannten gesprayt, irgendwie ein tapferes humanes Symbol dafür, dass dieses Haus trotz aller Not, Elend und schlimmen Zuständen dennoch für Menschen auch Zuflucht und „Obdach“ bot. Im Detail wissen wir heute, dass die ersten wirklichen „Bewohner“, gequälte jüdische Häftlingsfrauen waren, 1944 vom KZ Ravensbrück überstellt. Und bei allem Sarkasmus einer solchen Aussage: Sie hatten in dieser NS-Terrorzeit wahrscheinlich in Lippstadt eine bessere Überlebenschance als im Stammlager! Dann, unmittelbar nach dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten in Lippstadt Ostern 1945, gaben die alten WMI-Gebäude befreiten Zwangsarbeitern Unterkunft vor ihrer Heimreise.

gesprühtes Herz an der Hospitalstraße 46
Danach erhielten Heimatvertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten hier Wohnung. Wie die Gebäude unmittelbar nach dem Krieg innen eingerichtet waren, wie die Wohnverhältnisse sich gestalteten oder auch genaue Zahlen zu Personen und Aufenthaltsdauer, all dieses ist bisher unbekannt. Vielleicht kann das Firmenarchiv der heutigen Hella GmbH irgendwann einmal Licht ins Dunkel bringen?

Der Nebel des Unbekannten zur Gebäudenutzung lichtete sich erst wieder 1956. Eine Aufstockung des Gebäudes Nr.48 als Lagerraum wurde durch die WMI beantragt. Juli 1960 erhielt die Stadt dann den Antrag zum Umbau als Wohnheim für „Fremdarbeiter“! Das damals nicht einfache Arbeits- und Wohnleben der ersten ausländischen Mitarbeiter beschreiben aktuell zwei eindrucksvolle Beiträge im neuen Spurenheft des Heimatbundes zum 100-jährigen Vereinsjubiläum (S. 76 und S.78). Nach dem Erwerb der Immobilie durch die Stadt, nutzte das Sozialresort die Gebäude als „Asyl für durchreisende Wanderer“, in der Bevölkerung kurz Obdachlosenasyl genannt, und 2016 richtete die Stadtverwaltung zusätzlich hier Unterkunftsreserven für Migranten ein. Leider erfolgte bisher von der Stadt keine systematische Nachkriegs-Nutzungsdokumentation. Fotos zur Innensituation bei einer Besichtigung durch den Heimatbund wurden 2018 von der Verwaltung abgelehnt. Die besondere Sozialgeschichte der Hospitalstraße 46 bietet aber in Zukunft historisches Forschungspotential von überregionalem „europäischen“ Rang!  Dieses sollte von der Stadt geachtet und gefördert werden!