Nachlese

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Vortrag Macht und Pracht Achim Mc Gready 10.9.2017


Im Nachtrag zum Stadtspaziergang am 29.6.19 im Stift Cappel ist hier der Vortrag, den Achim Mc Gready dort noch einmal gehalten hat:

„Macht und Pracht“ - so lautet das bundesweite Motto zum Tag des offenen Denkmals im Jahre 2017.

„Macht und Pracht“ - lässt sich da überhaupt ein Zusammenhang zu unserer eher schlicht wirkenden Stiftskirche und dem ebenso bescheidenen Abteigebäude herstellen ?

Wie stehen unsere Gotteshäuser da neben einem Kölner Dom, dem Ulmer Münster oder anderen prachtvollen Kirchenbauten, die wir in unserem Land und anderswo bestaunen können ?

Macht und Pracht - hier in Cappel ?,

unspektakulär im Ursprung, wahrscheinlich mit einer fränkischen Saalkirche, unter der Karl der Große seine als Märtyrer gestorbenen Krieger beerdigen ließ, die im Kampf gegen die heidnischen Sachsen gefallen waren !?

Pracht und Macht - vor dem Hintergrund des jenseitsorientierten mittelalterlichen Denkens, der Auffassung nämlich, dass die große Gemeinschaft der Heiligen als Pilger auf Erden unterwegs ist hin zur ewigen Herrlichkeit Gottes !?

Pracht und Macht – wo hatten sie Platz in einer starren gottgegebenen Weltordnung: du bete, du kämpfe, du arbeite – das war die mittelalterliche Ständeordnung, gottgegeben und gottgewollt, die nicht in Frage gestellt werden durfte. Gott, der Allmächtige, hatte jedem einzelnen seinen Platz zugewiesen und eine Aufgabe, die es gewissenhaft zu erfüllen galt.

Natürlich wurde die Macht der adeligen Krieger nicht in Frage gestellt, auch nicht die der Geistlichkeit; die große Masse der Landleute musste ihren Lebenssinn entdecken

im gottgefälligen Leben,
in der Achtung der gottgesetzten Autoritäten,
gewissenhafter Erledigung der Arbeit,
in Frondiensten für die sie beschützenden adeligen Krieger.

Die Machtverhältnisse waren klar. Aber: Wo war Raum für Pracht, insbesondere auf dem Lande ? Wie wurde sie wahrgenommen in einer vorwiegend bäuerlichen Gesellschaft, die in erster Linie von harter Arbeit geprägt war?

Gewiss, der Adelige hatte eine prächtige Rüstung, errang prächtige Siege, hatte vielleicht beachtlichen Grundbesitz, ein repräsentatives Gebäude aus Stein, abhängige Knechte und Mägde, die für ihn die Feldarbeit erledigten.

Aber da stieß die Pracht auch schon an ihre Grenzen. Eine Ausnahme war allenfalls der Stammesführer Karl selbst:

Erst König der Franken, im Jahr 800 Kaiser Karl, von den Römern - staatsstreichsähnlich - zum Oberhaupt eines neuen römischen Reiches ausgerufen und vom Papst in der Peterskirche gekrönt, errichtete er im selben Jahr eine repräsentative Pfalzkirche in Aachen, seiner Lieblingspfalz, rot leuchtend wie zeitgenössische byzantinische Kirchenbauten, ein Signal an den bislang einzigen Kaiser in Byzanz, dass es nun einen ebenbürtigen zweiten Weltherrscher gebe.

Aber Aachen war weit weg von Cappel, war quasi wie auf einem anderen Stern.

Wo aber umgab hier – auf dem Dorf - den abhängigen Bauern die Pracht ? Wo erfuhren dessen Frau oder dessen Kinder etwas von ihrem prächtigen König ?

Da es keine zuverlässigen zeitgenössischen Quellen aus Bauernhand gibt – nur der gebildete, oft dem Adel entstammende oder von ihm abhängige Mönch war in der Regel des Lesens und Schreibens kundig - können wir allenfalls vermuten, was im Wahrnehmungshorizont des einfachen Landmannes anzutreffen war:

Prächtig konnte ein eigenes schönes Gewand sein, das nur zu besonderen Anlässen getragen wurde.

Prächtig war ein außergewöhnliches Mahl, das ebenfalls zu besonderen Feiertagen und Feierlichkeiten eingenommen wurde – statt des alltäglichen Getreidebreis.

Prächtig war vor allem der Himmel auf Erden,

wie er im Gottesdienst,
in der schutzspendenden Gemeinschaft der Gläubigen,
in der weihrauchgeschwängerten Luft des Gotteshauses,
im Schein unzähliger Kerzen,
in der Präsenz des zwischen Himmel und Erde Brücken bauenden Priesters,
in der Gemeinschaft der Lebenden und Toten

wahrgenommen wurde.

Vielleicht lässt sich diese Ebene noch nachempfinden, wenn wir unsere verkopfte Sicht verlassen und das Archaische, das in uns angelegte Bauchgefühl, sprechen lassen. Kann sein, dass uns dann deutlich wird, dass der mittelalterliche Mensch nicht glücklicher oder unglücklicher war als wir heute und der – im Gotteshaus wahrgenommene - Himmel auf Erden für ihn die Pracht und die Herrlichkeit bedeutete, die uns vielleicht heute verloren gegangen ist.

Schlagen wir nun ein anderes Kapitel der mittelalterlichen Geschichte auf:

Die fränkische Saalkirche wich seit 1139 / 1140 einem neu entstehenden Gebäude: der heutigen Kirche, die Platz bot für ein Prämonstratenser – Nonnenkloster. Der Orden selbst war 1120 zu Prémontré von Norbert von Xanten gegründet worden. In der hier anzutreffenden Musterschule wurde der Akzent auf Seelsorge und Mission gelegt.

Der französische Name findet seine Bedeutung in den lateinischen Worten: pratum monstrare – eine Weide zeigen. Das heißt in der symbolorientierten Mentalität des mittelalterlichen Menschen: Mönch, tritt aus dem Kloster heraus, verkünde den Landleuten das Wort Gottes, beackere ihre Seelen und weise ihnen den Weg zur ewigen Herrlichkeit Gottes.

Der Orden, seit 1129 auch in Magdeburg vertreten, sich von dort bis nach Cappel vorarbeitend, praktizierte hier vor Ort durch Seelsorge und Krankenpflege eine bemerkenswerte Gemeindenähe.

Seine Macht lag in der Selbstlosigkeit und Nächstenliebe, mit der die Mönche die brach liegenden Seelen der Landleute in grüne Auen verwandelten. Sichtbarer Ausdruck seiner Tätigkeit ist die vor uns stehende Steinkirche; wir können nur ahnen, in welchem Maße die hier zelebrierten Messen den mittelalterlichen Zeitgenossen - wie oben schon erwähnt - einen Eindruck von der Pracht und Macht Gottes vermittelten.

Verlassen wir nun das Mittelalter und gehen in das Jahr 1517:

Es ist das Jahr des Thesenanschlags Luthers an der Wittenberger Schlosskirche, ausgelöst durch den marktschreierisch durch die Lande ziehenden Mönch Tetzel und seinen reißerischen Werbeslogan: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.

Das Jahr des Thesenanschlags jährt sich am 31. Oktober zum fünfhundertsten Mal. Darum sollten wir bei diesem Ereignis etwas verweilen.

Was Luther empörte, war die Tatsache, dass Tetzel bei den vielen geistig einfach gestrickten Menschen den Eindruck erweckte, sie könnten sich mit einem pekuniär aufgewogenen Ablassbrief ohne weitere Reue von allen ihren Sünden befreien.

Wenn wir uns noch vergegenwärtigen, wofür das Geld verwendet werden sollte, nämlich den Neubau der Peterskirche in Rom, sind wir auch schon wieder ganz nahe dran am Thema: Macht und Pracht. Denn bekannt ist, in welchem Maße die Renaissancepäpste, darunter Sprösslinge der legendär reichen Familie Medici, die größten Künstler nach Rom zogen, um die ewige Stadt, auch optisch, zum Himmel auf Erden werden zu lassen und sich dabei selbst ein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen.

Nirgendwo anders als hier hätten sich zu diesem Zeitpunkt Macht und Pracht besser zur Schau stellen lassen. Die Genialität eines Michelangelo, verewigt im Petersdom, ist vor diesem Hintergrund ebenso unbestritten wie die vielfältige Gesichter annehmende Verwahrlosung der Mächtigen , auch der Päpste und Geistlichkeit, auf der anderen Seite.

Trotzdem ist Luthers heftige Reaktion nicht vor diesem Hintergrund zu verstehen. Es ging ihm nicht in erster Linie um den Lebenswandel der Päpste, nicht in erster Linie um die Verwahrlosung des römischen Klerus, der von ihm räumlich weit weg war. Natürlich registrierte er die - schockierende Ausmaße annehmende - Macht und Pracht in Rom, gepaart mit Unzucht, Völlerei und Verschwendung..

Luthers Anliegen war vielmehr und vor allem, dass die Gläubigen sich über drei Glaubensprinzipien klar werden sollten, die da lauten:

sola fide, sola gratia, sola scriptura – allein durch den Glauben, allein durch die Gnade, allein durch die Schrift.

Mit anderen Worten: Der Glaube und die aus ihm erwachsenden Werke sind eine gerechtmachende Gnadengabe Gottes. Um Christi willen nimmt Gott den sündigen Menschen aus Barmherzigkeit an. Anders ausgedrückt: Gott schenkt Gerechtigkeit, die im Glauben lebt und im Handeln des Menschen Gestalt annimmt.

Und außerdem: Die Bibel ist die einzige Glaubensquelle. Die in der Heiligen Schrift zum Ausdruck gebrachte Wahrheit ist für jeden Christen erfahrbar. Eines geweihten Priesters oder gar des Papstes in Rom bedarf es dazu nicht mehr. Der Papst hatte seine Rolle als pontifex maximus, als oberster Brückenbauer, ausgespielt. Nirgendwo in der Bibel lässt sich nachweisen, dass ihm eine solche Aufgabe zuteil geworden ist. Vielmehr sind alle Gläubigen aufgefordert, die Botschaft Gottes zu verkünden, alle sollen sozusagen als Priester wirken und die frohe Nachricht des Evangeliums verkünden.

Schlagen wir den Bogen zu dem kleinen Fleckchen Erde, auf dem wir stehen:

Luther oder Papst – das war auch in Cappel – wie anderswo in Deutschland – eine Machtfrage.

Das seit 1139 vor Ort existierende Prämonstratenser – Nonnenkloster

( - 1522 im nach anderthalbjähriger Bauzeit fertiggetstellten Abteigebäude untergebracht -)

musste der (seit 1538) evangelischen Fürstenmacht des Hauses Lippe weichen. Denn die ihren Herrschaftsraum zu einheitlichen Territorien umgestaltenden Fürsten nutzen die Reformation nur zu oft dazu, die noch unabhängigen – katholischen - Gewalten ihres Gebietes einzuebnen, also auch die Klöster ihrem Besitz einzuverleiben, und vergrößerten auf diese Weise Macht und Reichtum erheblich.

Das ließ sich auch der für Cappel zuständige lippische Graf Bernhard VII. nicht nehmen, der den zunächst hier noch hartnäckig ausharrenden katholischen Propst Gotthard von der Recke derart unter Druck setzte, dass dieser 1577 resigniert dem Kloster den Rücken kehrte.

1588 brachte dann eine landesherrliche Verordnung des Grafen Simon VI. klare Verhältnisse in Anlehnung an den Augsburger Religionsfrieden von 1555. Dessen Bestimmung: Wessen Gebiet, dessen Religion. Konkret: Ist der Fürst evangelisch, sind es die Untertanen auch; ist der Fürst katholisch, haben es die Untertanen auch zu sein.

In diesem Sinne entschied der oben genannte Simon: Cappel wird in ein hochadeliges evangelisches Damenstift umgewandelt, das sich an dem Augsburger Bekenntnis zu orientieren habe, einem Dokument, das die evangelischen Fürsten 1530 Kaiser und Reich als Bekenntnisschrift vorgelegt hatten.

Die Gegenreformation, ausgelöst durch die Niederlage des von evangelischen Fürsten gebildeten Schmalkaldischen Bundes (1547), brachte noch einmal ein katholisches Intermezzo. Je nach den Machtverhältnissen war Cappel bald wieder katholisch (1604), kurz calvinistisch (1605), 1623 kehrten – infolge der sich ständig ändernden Machtverhältnisse im Dreißigjährigen Krieg - die Prämontratenser-Nonnen noch einmal zurück, bis schließlich 1633 / 34 Ruhe in die Konfessionsgeschichte des Stiftes einkehrte. Fest steht, dass das Stift von 1655 an von einer Äbtissin, also Klostervorsteherin, aus dem Hause Lippe geleitet wurde. Klare Machtverhältnisse also ab jetzt: Nur mit überzeugendem Stammbaum (mit mindestens 16 adeligen Vorfahren) konnte man in Cappel Stiftsdame werden.

Kurz sei angedeutet, dass die große Weltgeschichte Cappel dann wieder im Jahre 1758 berührte. Es war die Zeit des Siebenjährigen Krieges, der durch seine Kontrahenten England und Frankreich Kreise bis nach Nordamerika und Indien zog und auf dem europäischen Nebenkriegsschauplatz im Rahmen der sich neu orientierenden Bündnispolitik auch Preußen und Frankreich gegeneinander antreten ließ. Der Schwager und Feldherr des Preußischen Königs bezog sein Hauptquartier, vom Rhein ins tiefe Westfalen kommend, im Stift und zog seine Bewohner so in die große „Weltpolitik“ hinein.

Unwahrscheinlich, dass die hier lebenden Menschen die Vorgänge verstanden, in die sie hereingezogen wurden. Sie bekamen allenfalls die Sprache der Gewalt zu spüren seitens einer nicht gerade zimperlichen Soldateska.

Gehen wir ins 19. Jahrhundert:

Es schlug die Stunde des mächtigen Napoleon, der die europäische Bühne dramatisch umgestalten sollte: Zwar kam er als Eroberer, seine Soldaten versprühten aber das Denken der Französischen Revolution und führten den unterworfenen Völkern vor, in welchem Maße die neu entdeckten und umgesetzten Prinzipien: liberté, égalité und fraternité – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Berge versetzen konnten.
Das tausendjährige Heilige Römische Reich deutscher Nation versank im Staub, der Eroberer ordnete 1803 die politische Landkarte Deutschlands neu: Frankreich kassierte linksrheinische Gebiete und entschädigte die Fürsten, die dort Gebiet verloren hatten, mit enteignetem Kirchenbesitz. Fast alle geistlichen Gebiete wurden in weltlichen Besitz überführt: vier Erzbistümer, 18 Bistümer, 300 Abteien, Klöster, Stifte – 70.000 qm. - 3 Millionen Einwohner waren betroffen. Cappel stand auch auf der Liste, aber es gelang der damaligen Fürstin zu Lippe, Pauline, das Stift vor dem Säkularisationsplan, dessen Auflösung also, zu retten. Der Zar, der preußische König und andere - alle sollten intervenieren, um das drohende Schicksal abzuwenden. Die Überzeugungskraft, mit der die Äbtissin auftrat, muss erfolgreich gewesen sein. Cappel gehörte zu den wenigen Stiften und Klöstern, die nicht aufgelöst wurden, sondern bis in die Gegenwart weiterbestehen konnten.

Napoleon, Kind der französischen Revolution, hinterließ dennoch seine Spuren, trat in Deutschland als Eroberer und Erneuerer zugleich auf. Nach der Niederlage der Preußen empfahl er dem Preußischen König: Prenez le baron de Stein, c’est un homme d’esprit – nehmen Sie den Baron von Stein, das ist ein Mann mit Köpfchen“, und so wurden ganz im Sinne der Aufklärung in Preußen Frondienste und Erbuntertänigkeit 1811 beseitigt.

In den lippischen Stiftsgebieten wurde daraus erst etwas, als Napoleon schon von der Bühne abgetreten war. Im Zeitraum von 1852 bis 1856 entließ der lippische Fürst die Bauern und Kötter hier aus der Hörigkeit, sie konnten ihre Hand- und Spanndienste durch Geldrenten ablösen.

Die Mächtigen zeigten Einsicht, auch wenn sie sich ihren Machtverlust mit Geld aufwiegen ließen.

Eine bemerkenswerte Gratwanderung sollte aber auf anderer Ebene stattfinden:

Ein Zeichen, dass der Geist der Toleranz in Cappel angekommen war, zeigt sich in der Tatsache, dass 1851 im Stiftsgebäude eine private Schule eingerichtet wurde, in der für evangelische, katholische und Kinder jüdischen Bekenntnisses Platz war. Auch dass in der Zeit von1859 bis 1865 die katholische Gemeinde die Stiftskirche für den Gottesdienst mitbenutzte, spricht für den oben angedeuteten Geist der Versöhnung der Konfessionen.

Versöhnung statt Pochen auf Macht und Heimvorteil – das war eine gute Entwicklung.

Den Ton gaben vorläufig trotzdem vorerst noch andere an:

Gehen wir in das Jahr 1883, als die Zulassungen als Stiftsdame gelockert wurden.

Drücken wir es einmal böse aus:

Das zusehends in Amt und Würde gelangende und sich dem Adel andienende Bürgertum hielt Einzug ins Stift: Denn von nun an sollten auch „Töchter von höheren Beamten und Militärs“ Zutritt haben.

Mit diesen Damen wehte der autoritär geprägte Wind Preußens in die Mauern des Anwesens. Wir müssen konsequent folgern, ohne es böse zu meinen: Es waren die elitären Schichten des preußisch geprägten protestantischen Kaiserreiches, die nun zu Einfluss gelangten. Dieses einflussreiche, oft kapitalkräftige Bürgertum, das 1848 mit der - im Zeichen von Schwarz – Rot – Gold stehenden - Revolution gescheitert war, hatte sich nun in den elitären Kreisen Zugang verschafft und war in die Bastionen eingedrungen, die vorher nur dem Adel vorbehalten waren.

Die Weichen hierfür waren 1871 gestellt worden, als die deutschen Fürsten nach einem Sieg über Frankreich den preußische König in Versailles zum Kaiser proklamiert hatten. Nicht die demokratisch ausgerichtete Paulskirche von 1848 sollte dieses neue Reich prägen, sondern der autoritäre Geist der Militärmacht Preußen,.in dem der Reserveoffizier gesellschaftliches Vorbild war.

Eines dürfen wir auf keinen Fall aus den Augen verlieren: Dass die Damen diesem konservativen Milieu entstammten, soll sie in keiner Weise diskriminieren. Menschlich waren sie achtenswerte, christlich motivierte Persönlichkeiten mit unbedingt hehren Absichten. Aber dem Zeitgeist konnte sich bislang noch kein Mensch entziehen. Und ich denke, das dürfen wir auch für die Einwohner von Cappel sagen, auch wenn sie übrigens nie zum Staat Preußen gehörten.

Verlassen wir das 19. Jahrhundert und kommen in das 20.:

Ein Einschnitt in die Geschichte des Stiftes, wie ganz Deutschlands überhaupt, war die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933. Trotz Widerstandes der für Cappel zuständigen Pfarrer wurden die Räume der Abtei von 1935 an vom weiblichen Reichsarbeitsdienst benutzt. 1937 richteten die Nazis hier für einige Monate ein Müttergenesungsheim ein, mit dem hereinbrechenden Krieg ein Notlazarett. Auch Ausgebombte, Vertriebene und Evakuierte fanden vorübergehend hier eine Bleibe.

Die Tatsache, dass die Nazis diesen Ort für ihre Zwecke ausnutzten und besudelten und die Menschen mit Bekennermut vor der Sprache der Gewalt weichen mussten, ist bedauerlich. Aber der Hölle hat noch nie der Sieg gehört. Die vermeintliche „Macht und Pracht“ des Hitler- Regimes liegt auf dem Scherbenhaufen der Geschichte.

Signal eines Neuanfangs war die unmittelbare Nachkriegszeit:.

Als 1950 den in Not geratenen Menschen Wohnungen in Lippstadt zur Verfügung gestellt werden konnten, war Raum da für ein Internat, das die evangelische Kirchengemeinde ihrem Mädchengymnasium hier einrichtete(1951). Nach dessen Auflösung wurde eine Pflegevorschule in den Räumlichkeiten untergebracht, die 1978 zur Berufsfachschule Stift Cappel erweitert wurde. Die evangelische Kirchengemeinde Lippstadt übernahm 1969 die Liegenschaften. Die beiden letzten Stiftsdamen verließen 1971 ihr Domizil, um ins lippische Damenstift St. Marien in Lemgo umzuziehen.

Noch eine Bemerkung zur Kirche: Seit der Beendigung der fünfjährigen Renovierungsarbeiten, 1981, erstrahlt das Gotteshaus wieder in seinem vollen Glanz und gereicht zum Stolz der evangelischen Kirchengemeinde und natürlich jeden Cappeler Bürgers. Die übrigen zum Stift gehörenden Gebäude dienen als Wohnungen und Orte der Gemeindearbeit.

Fazit:

Macht und Pracht im klassischen Sinne hat Cappel nie kennengelernt. Gelegentlich geriet es aber in den Sog der Mächtigen. Entscheidend aber ist: Gott, der Allmächtige, setzte sich immer wieder durch und hat den hier lebenden Menschen - durch alle Zeiten hindurch - stets erneut seinen heilsamen Atem eingehaucht.

Darum stellen wir dankbar fest:

Wir glauben an die Kraft und die Herrlichkeit eines Schöpfers, der es gut mit uns meint, und seines Sohnes Jesus Christus, der für uns am Kreuz gestorben ist und uns erlöst.

In diesem Sinne machen wir uns auf den Weg, zu einer weiteren Reformation, zu einer weiteren Erneuerung, gerade in einer Zeit großer Herausforderungen.

Macht und Pracht ? - letzten Endes Schall und Rauch !

Setzen wir die Akzente anders:

Begegnen wir uns gerade in diesem Hause als Brüder und Schwestern: Katholiken, Evangelische, Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten - alle wollen wir hier willkommen heißen.

Aber gehen wir auch zu ihnen, in ihre Häuser, in ihre Familien oder zu dem einzelnen und signalisieren ihnen unser Interesse und unsere Wertschätzung. Im Geiste der gegenseitigen Toleranz, des gegenseitigen Respekts, der Nächstenliebe und der Zuversicht können wir Berge versetzen.


Machen wir uns auf den Weg, und lasst uns eine neue menschliche Welt bauen.


Achim Mc Gready 10.9.2017

 

Lief alles nach Plan? Vortrag von Dr. Nina Gens am 15.02.2019


Lief alles nach Plan? Diese Frage konnte nur teilweise bejaht werden. Frau Dr. Nina Gens stellte in ihrem Vortrag zur Frühphase der Bebauung in der Soeststraße heraus, dass die streng parzellierte geplante Stadt, wie sie schon früh für Lippstadt angenommen wird, in diesem Areal nicht als Muster zu finden ist. Die mehr als 12.000 Funde, die die Grabungen in den neunziger Jahren zu Tage förderten, geben zusammen mit den Grabungsschnitten selbst Auskunft über die Bebauung des Geländes rund um das Stadtarchiv. Dieser imposante Bau, ein Steinwerk aus dem 14 Jahrhundert, stellt eine Ausnahme dar, rundherum wurden Häuser mit einfacheren Mitteln gebaut, geflickt, erweitert und nach Bränden wiederaufgebaut. Die Parzellengrenzen, in anderen Teilen der Altstadt von Lippstadt durchaus regelmäßig, sind hier mehrfach verändert und verschoben worden. Die Bewohner dieses Viertels hinterließen aber allerlei Funde, die den Archäologen eine Datierung und auch die Rekonstruktion der Lebensverhältnisse möglich macht. Es gab kleine Tonfiguren, aus dem Rheinland eingehandelt, einfache Keramik, aber auch die glasierten Trinkbecher "für gut", die man sich leistete.
Archäologen öffnen kleine interessante Zeitfenster in die Vergangenheit und tragen damit zur Geschichtsdichte für Lippstadt bei. Leider ist heute dieser Bereich wieder komplett überbaut, in anderen Bereichen, so z.B. an der Ecke Cappelstraße/Klosterstraße böte sich die ideale Gelegenheit, mittels Sondierung und Grabung auch hier die frühe Siedlungsgeschichte der Stadt tor Lippe und der zuvor bestehenden Siedlung zu erfassen.





 

Stadtspaziergang: "Wechselvolle Stadtgeschichte - Perspektivenwechsel"


Der Spaziergang am Samstag, 9. Februar 2019 unter demTitel Perspektivenwechsel zeigte, dass immer wieder Objekte in der Stadt ihrenStandort wechselten. Die Haustüren nahmen bei dieser Tour einen breiten Raumein. Sie wurden ausgebaut, eingelagert, umgesetzt und manchmal erst nachlängerer Reise bis nach Bayern wieder zurück in die Stadt gebracht.
Aber auch Tore und sogar ein komplettes Haus sowie dasgroße Wasserrad von der Burgmühle fanden in Lippstadt Platz und bereichernunsere Stadt, in der nichts wegkommt.

 

"Samstags wurden die Türklopfer geputzt"


... "und hier ging frühereine Treppe hinauf in die erste Etage". Da ist sich Frau Kersting, geb.Schwan ganz sicher, hat sie doch 16 Jahre mit ihrer Familie im heutigenStadtmuseum gewohnt. Frau Kersting ist Gast beim Stadtspaziergang desHeimatbundes am Sonntag, 9. Dezember, bei dem die Museumsleiterin, Dr.Christine Schönebeck, den Interessierten Details zum "Museum imAufbruch" vermittelt. Eine Zeitzeugin aus der Phase vor dem großen UmbauEnde der fünfziger Jahre ist ein Glücksfall, findet sie. Frau Kersting weißdenn auch, dass der Eingang früher an der Rathausstraße lag, die heutige Osttürkurzerhand von der West-auf die Ostseite verlegt wurde.
Das alte Haus aus dem 17.Jahrhundert wurde immer wieder umgebaut, ähnelte früher den Fachwerkhäusern derübrigen Rathausstraße viel mehr. Aus dem Kommandantenhaus wurde das Stadthausder Familie Rose, die es ihrerseits immer wieder auch umbaute und im Innerenmit den prächtigen Stuckdecken versah. Beim Gang durch das heutige Museum wirdschnell klar, dass seit seiner Einrichtung vor 90 Jahren Grundrisse verändertwurden, ja sogar der Treppenaufgang, an den sich Frau Kersting lebhafterinnert, beseitigt wurde. Man geht heute über die"Dienstbotentreppe" in den ersten Stock. Diese Bel Etage beeindrucktauch heute noch mit den schönen Stuckdecken und Türen, von denen einige aus derBauzeit stammen.
Dieses Museum braucht mehr alseine Schönheitskur; nötig ist die Sanierung des Hauses und eine zeitgemäßeAusstellung seiner Schätze. Statt "von allem etwas" auszustellen,macht es Sinn, gezielt die Lebens-und Wohnsituation aus der Bau-und Blütezeitdes Hauses zum Thema zu machen. Die Rettung des Hauses mit seinerSammlungsfülle in vielfach umgebauten Räumen bedeutet aber auch, dass dieErhaltung des Hauses als Museum das Depot in der Hospitalstraße unerlässlichmacht. Es kommt von den Anwesenden die Anregung, dort mehr als nur Depot undAufbewahrung des Museumsgutes umzusetzen und auch die Industriegeschichte nichtzu vergessen.
Wolfgang Streblow, Leiter desFachbereichs Kultur, informiert darüber, dass die Sicherung des Depots alserster Schritt nun den Weg frei macht für die weitere Planung des Stadtmuseums."Ein kleines Café wäre schön", sind sich die BesucherInnen einig,"ein Aufzug muss her" meinen andere. Die Auflagen für dieMuseumsleute sind heute ungleich höher als vor Jahrzehnten. Also ist da vielArbeit zu leisten. Die aber wird sich lohnen, damit Lippstadt als Stadt miteiner über 800 Jahre alten Geschichte endlich einen oder mehrere Orte hat, umdiese Geschichte zu vermitteln. Ziel ist, die "Dinge zum Sprechen zubringen" und mitten in der Stadt mit dem Stadtmuseum einen wichtigen Kulturpunktzu stärken.
...und wer weiß? Vielleicht wirdja auch die alte Treppe wieder eingebaut? Die liegt bestimmt noch auf demBoden, weiß Frau Kersting. Da lohnt sich das Suchen doch mal.

 

Blasiusessen 2016


Am Dienstag, 2. Februar 2016 fand das traditionelle Blasiusessen des Heimatbundes Lippstadt in der Senfmühle statt.
Vorstand und Beirat begrüßten eine Abordnung des Vereins für Geschichte und Heimatpflege Soest unter der Führung ihrer Vorsitzenden Frau Ilse Maas-Steinhoff. Bei leckerem Essen ergaben sich in geselliger Runde viele Gespräche zwischen den Soestern und den Lippstädtern, über Gemeinsamkeiten beider Vereine und auch über unterschiedliche Bedingungen in beiden Städten. Frau Maas-Steinhoff überreichte ein "Soester Überlebenspaket" mit allerlei Spezialitäten aus der Bördestadt an Dr. Marlies Wigge, die Vorsitzende.
Beide Vereine wollen sich demnächst noch einmal zu einer Exkursion treffen, um Veränderungen an markanten Bauten in beiden Städten, dem Burghofmuseum in Soest und dem Lippstädter Metzgeramtshaus zu besichtigen.

 

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